Immanuel Kant (Darstellung von ...) Kants naturtheoretische Begriffe (1747-1780) - Eine Datenbank zu ihren expliziten und impliziten Vernetzungen
 
in neuem Fenster öffnen in neuem Fenster öffnen
Band:02 [Akademie Ausgabe] (452 Seiten)
ausgewaehlter Ausschnitt:Seite 315 bis Seite 373
Kurztitel des Ausschnitts:1766 Träume
Titel:Traeume eines Geistersehers, erlaeutert durch Traeume der Metaphysik
Ausblenden

erste Seite vorherige Seite
nächste Seite letzte Seite
01 Gesetz der Empfindung bringen lassen und also nur eine Regellosigkeit
02 in den Zeugnissen der Sinne beweisen würden (wie es in der That mit
03 den herumgehenden Geistererzählungen bewandt ist), so ist rathsam sie
04 nur abzubrechen: weil der Mangel der Einstimmung und Gleichförmigkeit
05 alsdann der historischen Erkenntniß alle Beweiskraft nimmt und sie
06 untauglich macht, als ein Fundament zu irgend einem Gesetze der Erfahrung
07 zu dienen, worüber der Verstand urtheilen könnte.


08

So wie man einerseits durch etwas tiefere Nachforschung einsehen
09 lernt, daß die überzeugende und philosophische Einsicht in dem Falle, wovon
10 wir reden, unmöglich sei, so wird man auch andererseits bei einem
11 ruhigen und vorurtheilfreien Gemüthe gestehen müssen, daß sie entbehrlich
12 und unnöthig sei. Die Eitelkeit der Wissenschaft entschuldigt gerne
13 ihre Beschäftigung mit dem Vorwande der Wichtigkeit, und so giebt man
14 auch hier gemeiniglich vor, daß die Vernunfteinsicht von der geistigen
15 Natur der Seele zu der Überzeugung von dem Dasein nach dem Tode,
16 diese aber zum Bewegungsgrunde eines tugendhaften Lebens sehr nöthig
17 sei; die müßige Neubegierde aber setzt hinzu, daß die Wahrhaftigkeit der
18 Erscheinungen abgeschiedener Seelen von allem diesem sogar einen Beweis
19 aus der Erfahrung abgeben könne. Allein die wahre Weisheit ist
20 die Begleiterin der Einfalt, und da bei ihr das Herz dem Verstande die
21 Vorschrift giebt, so macht sie gemeiniglich die große Zurüstungen der Gelehrsamkeit
22 entbehrlich, und ihre Zwecke bedürfen nicht solcher Mittel, die
23 nimmermehr in aller Menschen Gewalt sein können. Wie? ist es denn nur
24 darum gut tugendhaft zu sein, weil es eine andre Welt giebt, oder werden
25 die Handlungen nicht vielmehr dereinst belohnt werden, weil sie an sich
26 selbst gut und tugendhaft waren? Enthält das Herz des Menschen nicht
27 unmittelbare sittliche Vorschriften, und muß man, um ihn allhier seiner
28 Bestimmung gemäß zu bewegen, durchaus die Maschinen an eine andere
29 Welt ansetzen? Kann derjenige wohl redlich, kann er wohl tugendhaft
30 heißen, welcher sich gern seinen Lieblingslastern ergeben würde, wenn ihn
31 nur keine künftige Strafe schreckte, und wird man nicht vielmehr sagen
32 müssen, daß er zwar die Ausübung der Bosheit scheue, die lasterhafte
33 Gesinnung aber in seiner Seele nähre, daß er den Vortheil der tugendähnlichen
34 Handlungen liebe, die Tugend selbst aber hasse? Und in der
35 That lehrt die Erfahrung auch: daß so viele, welche von der künftigen
36 Welt belehrt und überzeugt sind, gleichwohl dem Laster und der Niederträchtigkeit
37 ergeben, nur auf Mittel sinnen, den drohenden Folgen der

Seite 372