Immanuel Kants Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe ; und der damit verknuepften Folgerungen in den ersten Gruenden der Naturwissenschaft, wodurch zugleich seine Vorlesungen in diesem halben Jahre angekuendigt werden ; den 1. April 1758
01 Tau, womit es befestigt war, aufgeknüpft sei, und das Schiff langsam 02 den Strom herabtreibe; ich sage alsbald: die Kugel bewegt sich und zwar 03 von Morgen gegen Abend nach der Richtung des Flusses. Jemand sagt 04 mir aber, die Erde drehe sich in der täglichen Bewegung mit viel größerer 05 Geschwindigkeit von Abend gegen Morgen; alsbald werde ich anderes 06 Sinnes und lege der Kugel eine ganz entgegen gesetzte Bewegung bei, mit 07 einer Geschwindigkeit, die aus der Sternenwissenschaft leicht bestimmt 08 wird. Aber man erinnert mich, daß die ganze Kugel der Erde in Ansehung 09 des Planetengebäudes von Abend gegen Morgen in einer noch 10 schnellern Bewegung sei. Ich bin genöthigt dieselbe meiner Kugel beizulegen 11 und ändere die Geschwindigkeit, die ich ihr vorher gab. Zuletzt lehrt 12 mich Bradley, daß das ganze Planetengebäude zusammt der Sonne 13 wahrscheinlicher Weise eine Verrückung in Ansehung des Fixsternenhimmels 14 erleide. Ich frage: nach welcher Seite und mit welcher Geschwindigkeit? 15 Man antwortet mir nicht. Und nun werde ich schwindlicht, 16 ich weiß nicht mehr, ob meine Kugel ruhe oder sich bewege, wohin und 17 mit welcher Geschwindigkeit. Jetzt fange ich an einzusehen, daß mir in 18 dem Ausdrucke der Bewegung und Ruhe etwas fehlt. Ich soll ihn niemals 19 in absolutem Verstande brauchen, sondern immer respective. Ich soll niemals 20 sagen: Ein Körper ruht, ohne dazu zu setzen, in Ansehung welcher 21 Dinge er ruhe, und niemals sprechen, er bewege sich, ohne zugleich die 22 Gegenstände zu nennen, in Ansehung deren er seine Beziehung ändert. 23 Wenn ich mir auch gleich einen mathematischen Raum leer von allen Geschöpfen 24 als ein Behältniß der Körper einbilden wollte, so würde mir 25 dieses doch nichts helfen. Denn wodurch soll ich die Theile desselben und 26 die verschiednen Plätze unterscheiden, die von nichts Körperlichem eingenommen 27 sind? 28
Nun nehme ich zwei Körper an, deren der eine B in Ansehung aller 29 mir zunächst bekannten Gegenstände ruht, der andere A aber gegen ihn 30 mit einer bestimmten Geschwindigkeit anrückt. Die Kugel B mag nun in 31 einer noch so unveränderten Beziehung gegen andere äußere Gegenstände 32 beharren, so ist sie darin doch nicht, wenn man sie in Ansehung der bewegten 33 Kugel A betrachtet. Denn ihre Beziehung ist gegenseitig, die Veränderung 34 derselben also auch. Die Kugel B, welche in Ansehung gewisser 35 Objecte ruhend genannt wird, nimmt an der Veränderung der gegenseitigen 36 Relationen mit der Kugel A gleichen Antheil, sie kommen beide einander 37 näher. Warum soll ich denn trotz allem Eigensinn der Sprache